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Sabine Elender - Die Neunzigerjahre







Die Neunzigerjahre



Politik.....in Arbeit
Gesellschaft.....in Arbeit
Mode.....in Arbeit
Musik.....in Arbeit



Die Wiedervereinigung Deutschlands stand ganz am Anfang 90, Die Attentate auf Wolfgang Schäuble und Oskar Lafontaine leider auch. Der Vertrag von Maastricht bildet die Grundlage der EU 93, der 2. Golfkrieg beginnt 91, Jugoslawienkriege, Völkermord in Ruanda 94, Schlacht von Mogadischu 93, Massaker von Srebrenica 95, Kosovokrieg 99.
Aber auch: Nelson Mandela wird erster schwarzer Präsident von Südafrika 94, Aufbau der ISS-Station, Satellitenfernsehen, Seifenopern, Playstation, Big Brother, Modem, Simsen, Faxen, E-Mail, CD und DVD. Generation Golf.



MEINE Neunziger



"Wer sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen"

- - - George Santayana - amerikanischer Philosoph - - -



Der Beruf war für mich immer das Wichtigste im Leben.
Wie ein Rettungsanker.
Über den Beruf habe ich mich definiert.
Ich sagte mir, pass´ auf, du musst funktionieren, da gibt es keine Ausnahme zu keinem Zeitpunkt. Ich brachte allerbeste Voraussetzungen mit, mich im Laufe der Jahre völlig auszupowern.

Ich konnte mir nicht zugestehen, auch mal schwach zu sein oder etwas nicht zu wissen. Ich kannte es nicht anders. Von mir war ohnehin immer Perfektion erwartet worden, und das führte ich nun in Eigenregie weiter. Und weil ich immer noch die Überzeugung hatte, dass alles, was ich nicht konnte, mein eigenes Versagen war, wurde es ein ewiger Kreislauf.
In diesem Nebel wurde Angst geboren und gedieh. Angst lässt sich mit Perfektionismus überdecken, mit Vermeidungsverhalten, mit Zwangsritualen. Angst kann viele Gesichter tragen. Angst vor NEUEM, Angst vor ANDEREM/N, Panik im Gedränge, Probleme mit Lärm und mit Nähe.

Zunächst hatte alles ausgesehen, als ob mir das neue Jahrzehnt Besseres bringen sollte: Ich hatte vor, mich über eine Umschulung zu informieren. Doch dann bekam ich in der Firma ein interessantes Angebot: Ich sollte in der Lederwarenabteilung eingesetzt werden und mich dort um alles kümmern. Was soll ich sagen? Ich war sofort begeistert. Und sagte zu.
Ich hatte große Kraft und Durchhaltevermögen und mit der Versetzung neuen Schwung bekommen, und ich war zäh. Sagte zu mir, du musst durchhalten, aber ich litt. Schmerzzustände quälten mich immer häufiger, Freizeit gab es für mich nicht, denn ich verbrauchte diese arbeitsfreie Zeit zur Regeneration. Alles ordnete ich dem Beruf unter.

Aber ein fortgesetztes Ignorieren und Überschreiten meiner Grenzen hatten mich mürbe gemacht, empfindlich und ausgelaugt. Es war der unvermeidliche Weg in eine Sackgasse. Die notdürftig abgedeckte jahrzehntealte Trauer, die Demütigungen und die viele Wut auf etwas, das ich nicht benennen konnte, habe ich nicht länger als 20 Jahre aushalten können.
Irgendwann, langsam und dann doch plötzlich, konnte ich nicht mehr den vitalen Schein aufrecht erhalten, brach zusammen und ließ mich widerstrebend darauf ein, in die Habichtswaldklinik zum Genesen zu fahren. Meine Entscheidung, mich überhaupt auf das Kommende einzulassen, diktierte mir mein erkrankter Körper. Bislang undenkbar, da es ein Schritt ins Ungewisse bedeutete. Ich stimmte zu und trat meine Reise in die Habichtswaldklinik an.

Mit dem Wegfallen üblicher Routinen, Beschäftigungszenarien und Ausweichmanövern begann eine Zwangspause von allen üblichen Verpflichtungen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Zeit, nachzudenken. Über mich. Über meinen Beruf. Über mein bisheriges Leben. Und ich hatte Fragen, viele Fragen und nur vage oder widersprüchliche Antworten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hielt ich mein Leben für durchschnittlich und gewöhnlich bis langweilig.
Ich war erwünscht geboren worden, ging zur Volks-, dann zur Oberschule. Im Anschluss ohne Pause in einen Beruf, den ich nicht wählte, sondern der bestimmt wurde. Das war für mich ganz normal. Acht berufliche Umzüge und Versetzungen, Karriere zunächst. Heirat, keine Kinder. Nichts Auffälliges.
Aber: Es gab eine andere Seite, hatte sie immer gegeben. Die andere Seite desselben konnte ich weder erkennen noch erfühlen. Ich hatte keinen Zugang dazu gehabt.

Ich hatte mir eine Menge "vorgemacht" bisher. Unbewusst hatte ich mir ein Lebensskript geschrieben, das Verletzungen, Irritationen und Manipulationen zum Teil unfühlbar machte. Meine Abwehrmechanismen hatten mich zugleich geschützt und ein Erkennen verhindert. Langsam bekam ich Kontakt zu meiner durch Jahrzehnte ziehende Traurigkeit, Sensibilität, Verletztheit und der großen Leere.



Unendlich lange brauchte ich für das mühsame Entwirren des fest verstrickt und verknoteten Knäuels an Widersprüchen und Ungereimtheiten, die ich bisher immer strikt aus meinem Leben gedrängt und durch unermüdliches Schaffen in Schach gehalten hatte. Durch das "Aus-der-hamsterradähnlichen-Routine-genommen-werden" fiel das höchst fragile Lebensgerüst allmählich zusammen. Ein zähes Ringen zwischen dem gewohnten Verdrängen und dem Anschauen und Durcharbeiten - ohne das wirkliche Veränderung jedoch nicht hätte geschehen können - kennzeichnet diese Zeit, die oft so beschwerlich und unendlich lang zu sein schien.

In der allerersten Zeit weinte ich stunden- und tagelang und konnte nicht sagen, warum. Dann setzte sich mein Verstand mit dem Unglaublichen auseinander und ich konnte emotionslos darüber reden. Auch Enttäuschung, Trauer und Wut konnte ich fühlen und ausdrücken.
Aber als ich zu FÜHLEN begann, was mit mir geschehen war, glaubte ich, auseinander zu reißen, so fassungslos war ich.

Allmählich fand ich Antworten. Auch auf Fragen, die ich gar nicht gestellt hatte. In meiner Ursprungsfamilie war ALLES ANDERS gewesen, als ich meinte, dass es gewesen war. Als alte Schablonon nicht mehr funktionierten und neue Strukturen noch nicht geschaffen waren, erlebte ich Ängste in unvorstellbarem Ausmaß. Lange Zeit wurde es bodenlos für mich. Ich erkannte, dass Sich-einlassen nicht bedeutet das zu bekommen, was man sich gewünscht hat, sondern das was bislang fehlte. Ich musste lernen, loszulassen. Bilder, Erinnerungen, Erzählungen, Menschen. Und anerkennen, was unumdeutbar gewesen war.

Mein großes künstlerisch-kreatives Potential entdeckte ich erst in dieser schweren Zeit und damit auch einen Teil der Gründe für diese Fähigkeiten. Ich hatte sie früh als Kind entwickelt, um zu überleben. Immer wieder musste ich damals Möglichkeiten finden, um die riesige strukturlose Masse der Einsamkeit und Missachtung aushalten zu können.
Jetzt bot mir diese gestalterische Vielfalt Fläche, auszudrücken, wo ich mit Worten an Grenzen stieß. Im Lauf einer langen Zeit kam ich nicht nur mir selbst näher, sondern auch der bislang unbewussten anderen Seite meiner Lebensgeschichte, die meine Persönlichkeit entscheidend mitgeprägt hatte.



Unsere Gedanken haben eine ungeheure Kraft. Es ist in unsere Entscheidung gelegt, diese Macht zu unserem Nutzen oder Schaden einzusetzen.

Mit der Kraft der Gedanken bestimmen wir nicht nur über Gesundheit und Krankheit, sondern unsere Gedanken sind unser Schicksal. Das ist eine Gesetzmäßigkeit, der sich keiner entziehen kann; aber gleichzeitig eine wunderbare Chance.

(William James, amerikanischer Philosoph und Psychologe, 1842 - 1910)



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